Merkmalsmessung der Demokratiematrix

Die Merkmalsmessung ist das erste Messniveau der Demokratiematrix und stellt daher den Ausgangspunkt der Messung der Demokratiequalität eines Landes dar. Sie erfasst die Funktionsweise zentraler demokratischer Institutionen. Dabei haben wir für jedes Matrixfeld einen detaillierten Konzeptbaum erstellt, der sowohl die einzelnen relevanten Subkomponenten als auch die aus dem V-Dem-Datensatz selektierten Indikatoren im Sinne einer Operationalisierung aufzeigt. Die angewandten Aggregationsregeln finden sich hier.



1. Entscheidungsverfahren

Freiheit der Entscheidungsverfahren

Freie Entscheidungsverfahren zielen insbesondere auf die nationalen Wahlen. Damit nationale Wahlen als frei eingestuft werden können, müssen drei notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen zutreffen: Erstens müssen durch eine Wahl im Sinne einer effektiven Wahl politische Ämter im dem Sinne vergeben werden, dass ein Wahlsieger auch tatsächlich sein Amt übernehmen kann. Zweitens muss effektive Entscheidungsfreiheit vorhanden sein, so dass Bürger*innen bei der Wahl aus unterschiedlichen Parteien auswählen und auch für die relevanten Entscheidungspositionen wählen können. Schließlich muss ein freier Wahlablauf gegeben sein, so dass keine Wahlmanipulationen auftreten.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2elasmoff, v2elirreg, v2elintim, v2elfrfair, v2elmulpar, v2ex_legconhog, v2expathhg, v2expathhs, v2ex_legconhos, v2xlg_elecreg, v2exdfpphs_ord, v2exhoshog

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, gewichteter Mittelwert sowie Multiplikation


Gleichheit der Entscheidungsverfahren

Gleiche Entscheidungsverfahren zielen insbesondere auf die nationale Ebene. Gleiche nationale Wahlen ergeben sich aus der Reichweite des aktiven und passiven Wahlrechts (beides notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen): Eine Wahl, in der zwar die Mehrheit der Bevölkerung das aktive Wahlrecht besitzt, aber nicht das Recht hat, zu kandidieren, ist nicht demokratisch. Effektives gleiches aktives Wahlrecht konstituiert sich aus einer effektiven und damit fehlerfreien Wählerregistrierung und der Möglichkeit, das aktive Wahlrecht ohne Beeinträchtigung ausüben zu können. Beides sind wiederum notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen. Um von einer demokratischen Wahl sprechen zu können, muss schließlich ein Mindestmaß an effektiver Entscheidungsfreiheit gegeben sein, so dass Bürger*innen bei der Wahl aus unterschiedlichen Parteien auswählen und auch für die relevanten Entscheidungspositionen wählen können.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2elrgstry, v2elsuffrage, v2elmulpar, v2ex_legconhog, v2expathhg, v2expathhs, v2ex_legconhos, v2xlg_elecreg, v2exdfpphs_ord, v2exhoshog

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, Multiplikation


Kontrolle der Entscheidungsverfahren

Die Kontrolle der Entscheidungsverfahren kann einerseits durch eine effektive Wahlprüfungskommission oder durch zivilgesellschaftliche Wahlbeobachter*innen erfolgen. Dabei sind beides notwendige Bedingungen einer effektiven Wahlkontrolle, jedoch ist jeder Akteur für sich eine hinreichende Bedingung (d.h. eine Wahlprüfung durch einen Akteur ist in der Regel ausreichend, wobei eine effektive Wahlprüfungskommission die Kontrolle besser ausüben kann und deshalb stärker gewichtet werden muss). Für eine effektive Wahlprüfungskommission muss ihre Autonomie von der Regierung und ihre ausreichende Kapazität zugleich gesichert sein: Eine Wahlprüfungskommission mit ausreichender Kapazität aber mangelnder Autonomie kann ihre demokratische Funktion nicht erfüllen. Beides sind demnach notwendige Bedingungen und zusammen hinreichende Bedingungen. Um von einer Wahl sprechen zu können, muss schließlich ein Mindestmaß an effektiver Entscheidungsfreiheit gegeben sein, so dass Bürger*innen bei der Wahl aus unterschiedlichen Parteien auswählen und auch für die relevanten Entscheidungspositionen wählen können.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2elembaut, v2elembcap, v2eldommon, v2elintmon, v2elmulpar, v2ex_legconhog, v2expathhg, v2expathhs, v2ex_legconhos, v2xlg_elecreg, v2exdfpphs_ord, v2exhoshog

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, Multiplikation/Wurzel, Multiplikation sowie Maximum


2. Intermediäre Vermittlung

Freiheit der intermediären Vermittlung

Eine freie intermediäre Vermittlung zeichnet sich durch Organisationsfreiheiten für Parteien als auch für die Zivilgesellschaft (Gewerkschaften und Verbände; Soziale Bewegungen; Bürgerinitiativen) aus. Da Parteien in Demokratien die zentrale Organisationsform darstellen, werden Parteien gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen höher gewichtet. Bei beiden Organisationen beruht die Organisationsfreiheit darauf, sowohl bei der Gründung als auch bei der Verfolgung ihrer jeweiligen Zielvorstellungen keinen Hindernissen ausgesetzt zu sein (außer bei extremistischen Parteien oder Organisationen). Beide Elemente sind notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen, die gleichgewichtet werden: Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich zwar gründen, nicht aber ihre Ziele verfolgen können, stellen lediglich Alibifunktionen für das Regime dar, können jedoch sonst nicht ihre demokratische Funktion erfüllen.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2psparban, v2psbars, v2psoppaut, v2csreprss, v2cscnsult

Angewandte Aggregationsregeln: Mittelwert, KVF, Multiplikation/Wurzel, gewichteter Mittelwert


Gleichheit der intermediären Vermittlung

Eine gleiche intermediäre Vermittlung ist bei Chancengleichheit für Parteien und für die Zivilgesellschaft (Gewerkschaften und Verbände; Soziale Bewegungen; Bürgerinitiativen) gegeben. Chancengleichheit für Parteien bzw. zivilgesellschaftliche Organisationen ist dann verwirklicht, wenn für alle relevanten Interessen innerhalb einer Gesellschaft (soziale Klassen, soziale Gruppen) eine ausreichende Organisationsfähigkeit ermöglicht wird und auf der anderen Seite gleiche Handlungsmöglichkeiten in dem Sinne bestehen, dass diese Interessen bei den sie betreffenden policy-Entscheidungen gleichermaßen berücksichtigt werden.

Leider kann dieses Matrixfeld nur durch Proxy-Indikatoren erfasst werden, die auf die Gleichverteilung politischen Einflusses zwischen sozio-ökonomischen, sozialen und Gender-Gruppen zielen.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2pepwrgen, v2pepwrses, v2pepwrsoc

Angewandte Aggregationsregeln: Mittelwert, KVF


Kontrolle der intermediären Vermittlung

Kontrolle durch intermediäre Vermittlung erfolgt sowohl durch Oppositionsparteien als auch durch die Zivilgesellschaft (Gewerkschaften und Verbände; Soziale Bewegungen; Bürgerinitiativen). Dabei kann die Zivilgesellschaft die Kontrollfunktionen von schwachen Oppositionsparteien bis zu einem gewissen Grad substituieren, jedoch wird die Kontrolle durch Parteien als zentrales demokratisches Organ als höhergewichtig eingeschätzt. Ein Regime hingegen, dass starke Oppositionsparteien bei zugleich schwacher Zivilgesellschaft umfasst, kann durchaus noch als demokratisch gelten – doch selbst hier muss ein Mindestmaß an Zivilgesellschaft vorhanden sein.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2lgoppart, v2dlengage

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, gewichteter Mittelwert


3. Kommunikation und Öffentlichkeit

Freiheit der Kommunikation und Öffentlichkeit

Kommunikation und Öffentlichkeit sind dann frei, wenn sowohl eine freie Meinungsäußerung erfolgen kann, als auch eine ausreichende Transparenz des politischen Prozesses gegeben ist. Zwar ist die Informationsfreiheit im Sinne der Transparenz des politischen Prozesses wichtig, jedoch konstituiert die zentrale Komponente die Möglichkeit der Meinungsäußerung. Allerdings wird die freie Meinungsäußerung dann entwertet, wenn der politische Prozess stark intransparent ist. Deshalb sind beides notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen, auch wenn freie Meinungsäußerung höher gewichtet wird. Freie Meinungsäußerung beruht auf der Pressefreiheit (Zensurverbot) und Meinungsfreiheit, die den öffentlichen als auch wissenschaftlichen Bereich sowie die Religionsfreiheit umfasst. Beides, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit, sind notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen. Da für die Transparenz des politischen Prozesses kein Indikator vorhanden war, konnte dieses Feld nur über die Werte der freien Meinungsäußerung berechnet werden.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2mecenefm, v2meharjrn, v2mecenefi, v2cldiscw, v2cldiscm, v2clrelig, v2clacfree

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, Mittelwert, Multiplikation/Wurzel


Gleichheit der Kommunikation und Öffentlichkeit

Die Gleichheit der Institution der Kommunikation und Öffentlichkeit konstituiert sich aus der gleichen Medienversorgung der Bürger*innen und einem gleichen Medienzugang für alle relevanten Interessen (beides notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen). Denn die gleiche Medienversorgung steigert nur dann die Demokratiequalität, wenn die Bürger*innen mit Medien versorgt werden, die ein breites Spektrum an Meinungen abbilden. Leider ist zurzeit kein Indikator für die gleiche Medienversorgung der Bürger*innen beim Datensatz der Varieties-of-Democracy enthalten.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2mebias, v2merange

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, Mittelwert


Kontrolle der Kommunikation und Öffentlichkeit

Die Kontrollfunktion der Institution „Kommunikation und Öffentlichkeit“ erfolgt über die Kontrolle durch die Medien, die als watchdogs kritisch den Regierungsprozess begleiten.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2mecrit, v2meslfcen

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, gewichteter Mittelwert


4. Rechtsgarantie

Freiheit der Rechtsgarantie

Freie Rechtsgarantie in Form eines Rechtsstaats konstituiert sich aus einem Justizapparat (Gerichte und Verfassungsgericht) mit politischer Unabhängigkeit sowie dem Vorherrschen von Rechtssicherheit. Beides sind notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen für dieses Matrixfeld.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2juhcind, v2juncind, v2cltrnslw, v2juaccnt

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, gewichteter Mittelwert, Multiplikation/Wurzel


Gleichheit der Rechtsgarantie

Gleiche Rechtsgarantie meint sowohl den gleichen Zugang zur Justiz als auch die Gleichheit vor dem Gesetz, die wichtige Bestandteile des Rechtsstaats darstellen. Letzteres bezieht die Gleichheit zwischen sozialen Gruppen und sozio-ökonomischen Klassen ein. Gleicher Zugang zur Justiz und Gleichheit vor dem Gesetz sind notwendige und hinreichende Bedingungen.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2clacjstm, v2clacjstw, v2clsocgrp, v2clacjust

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, Mittelwert, Multiplikation


Kontrolle der Rechtsgarantie

Die Kontrollfunktion innerhalb der Rechtsgarantie meint die Effektivität und Durchsetzungskraft der Rechtsprechung. Diese zeichnet sich dadurch aus, inwiefern sich die Regierung an den Richtersprüchen orientiert und damit respektiert. Dabei stehen Gerichte und – falls vorhanden – Verfassungsgerichte im Fokus.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2juhccomp, v2jucomp, v2exrescon

Angewandte Aggregationsregeln: Gewichteter Mittelwert, KVF


5. Regelsetzung und -anwendung

Freiheit der Regelsetzung und -anwendung

Eine freie Regelsetzung und –anwendung ergibt sich zum einen aus dem Innehaben der Regierungsgewalt im Sinne einer effektiven freien Regierung sowie aus dem Respektieren von Persönlichkeitsrechten durch die Regierung. Beides sind notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen. Effektive Regierungsgewalt verlangt zum einen, dass keine nicht-demokratischen Vetospieler innerhalb des politischen Systems existieren, die Entscheidungen der gewählten Amtsträger*innen blockieren können. Zum anderen muss eine effektive Unabhängigkeit der Regierung von anderen Staaten gegeben sein.  Die Regierung wird wiederum als Vertretung von freien Bürgerinnen und Bürger verstanden. Damit dies gegeben ist, darf die Regierung selbst die Freiheit im Sinne einer Achtung der Persönlichkeitsrechte nicht verletzen.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2exrmhsol, v2exrmhgnp, v2ex_legconhog, v2expathhg, v2expathhs, v2ex_legconhos, v2xlg_elecreg, v2exdfpphs_ord, v2exhoshog,v2svdomaut, v2svinlaut, v2cltort, v2clkill

Angewandte Aggregationsregeln: Minimum, KVF, Mittelwert, Multiplikation


Gleichheit der Regelsetzung und -anwendung

Die Gleichheit bei der Regelsetzung und Anwendung konstituiert sich aus der Gleichbehandlung durch das Parlament und der Gleichbehandlung durch die Exekutive. Beides sind notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen. Gleichbehandlung durch das Parlament meint die gleiche funktionale Repräsentation von Interessen im Parlament. Schließlich umfasst die Gleichbehandlung durch die Exekutive eine Administration, die unparteiisch ist und nicht diskriminiert.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2dlconslt, v2clrspct

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, Multiplikation, Wurzel


Kontrolle der Regelsetzung und -anwendung

Die Kontrollfunktion innerhalb der Institution der Regelsetzung und –anwendung erfolgt auf der einen Seite durch das Parlament selbst und auf der anderen Seite durch die Verwaltung (z.B. Ombudsmann oder Rechnungshof). Die parlamentarischen Kontrollrechte werden aufgrund der wichtigeren Stellung der Institution im politischen System stärker gewichtet.

Verwendete V-Dem-Indikatoren: v2lgqstexp, v2lgfunds, v2lginvstp, v2lgotovst

Angewandte Aggregationsregeln: KVF, gewichteter Mittelwert